Feine neue Welt

Welt am Sonntag

VON GEORGES DESRUES | NR. 12 | 24. MÄRZ 2019

Angesetzt war die Pinot-Noir-Verkostung an einem erstaunlich frischen und nebligen Frühlingsmorgen im Tal des Russian River im kalifornischen Sonoma County. So kalt war es, dass beinahe der Verdacht aufkam, die Winzer hätten bewusst so früh am Morgen geladen, um den Besucher aus Übersee mit den niedrigen Temperaturen zu beeindrucken. „Unsere Weingärten liegen im kühlsten Teil des Anbaugebietes, nur wenige Meilen entfernt vom Pazifischen Ozean, der Morgennebel sorgt für Feuchtigkeit und Frische, genau das Richtige für Cool-Climate-Sorten wie Pinot oder Chardonnay“, sagt prompt Paul Hobbs, einer der anwesenden Winzer und Gastgeber der Verkostung.

Wer von kühlem Klima und langsamer Reifung spricht, der spricht oft von komplexen, eleganten und ausgewogenen Weinen. Und genau die sind es, die viele Winzer im Russian River Valley, aber auch im gesamten Sonoma County und in ganz Kalifornien heutzutage durch ihre Arbeit erschaffen möchten. Noch vor wenigen Jahren galten kalifornische Cabernet Sauvignons, Zinfandels und Pinots als das genaue Gegenteil. Als schwere und extraktreiche, ja geradezu dickflüssige Fruchtbomben mit hohem Alkoholgehalt und ausgeprägten Noten von Waldbeeren, Unterholz und Eichenfass. Als Weine, die so üppig daherkommen konnten, dass sie beinahe als Mahlzeit durchgingen. Es waren die Zeiten, in denen der amerikanische Weinjournalist Robert M. Parker Jr. mit seinem Faible für solche Weine und seinem umstrittenen 100-Punkte-Bewertungssystem den Ton angab – und damit Winzer auf der ganzen Welt beeinflusste. Von „internationaler Geschmacksgleichschaltung“ war damals die Rede, von „Parkerisation“ und sogar von „amerikanischem Wein-Imperialismus“.

Seinerzeit konnte man beobachten, wie etliche Winzer – nicht nur in den USA, sondern überall auf der Welt – in zunehmendem Maße Weine erzeugten, die sich dem kalifornischen Vorbild weitgehend annäherten. Darunter waren auch zahlreiche Betriebe in den renommiertesten Weinbaugebieten Europas wie dem französischen Bordeaux, wo man sich aus historischen und wirtschaftlichen Gründen seit jeher an der Nachfrage auf den englischsprachigen Märkten orientierte. Doch diese Zeiten sind vorbei. In den angesagten Restaurants von Paris, Tokio, Berlin und Skandinavien werden heute ganz andere Weine entkorkt – Weine, die sich radikal vom parkerschen Modell unterscheiden. Im internationalen Trend liegen heute möglichst filigrane Weine mit viel ausgewogener Säure, starkem Charakter und unverwechselbarem Geschmack, am besten aus längst vergessenen und als schwierig geltenden Traubensorten gekeltert und im Idealfall auch noch möglichst naturnahe und umweltfreundlich erzeugt. Deshalb ziehen die kalifornischen Winzer jetzt nach. Auch auf das Weingut von Paul Hobbs treffen zumindest einige dieser Aspekte zu. „Wir setzen bei unseren Weinen auf Spontanvergärung, arbeiten also ausschließlich mit bereits im Weinberg vorhandenen Hefen und nicht mit solchen, die im Handel erhältlich sind“, sagt der Weinmacher. „Außerdem verzichten wir auf Pflanzenschutzmittel, auf Enzyme und auf jede Art von Schönungsmittel, und wir filtern auch nicht.“ So entspricht auch sein Russian River Valley Pinot nicht dem klassischen kalifornischen Schema. Vielmehr besticht der herbstrote Wein durch feingliedrige Balance, durch frische Noten von Sauerkirsche, Zitrusfruchtschalen und Backgewürzen, mit extrem langem Abgang und eindeutigem Reifungspotenzial. Dass sich die Nachfrage inzwischen auch auf dieser Seite des Atlantiks verändert hat, bestätigen die anwesenden Winzer. „Es stimmt schon, dass inzwischen auch der Markt in den USA gesplittet ist“, sagt der Winzer David Amadia. „Zwar herrscht nach wie vor eine starke Nachfrage für sogenannte big wines, vor allem für Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley.

Doch eine wachsende Zahl an jüngeren kalifornischen Winzern bemüht sich heute, Weine mit weniger Alkohol zu erzeugen, mit besserer Balance und mehr Finesse.“ Und selbst wenn es sich dabei in der Regel um kleinere Weingüter handle, so hätten diese doch eine wachsende Anhängerschaft, sagt Amadia, der das angesehene Weingut Ridge Vineyards in Healdsburg leitet, 70 Meilen nördlich von San Francisco und kaum 20 Meilen vom Weingut Paul Hobbs’ entfernt. Die zum Großteil biologisch erzeugten Weine von Rigde galten schon in der Vergangenheit als Ausnahme und hoben sich deutlich von den weitverbreiteten Fruchtbomben ab. „Schon zu Zeiten der Gründung von Ridge, also in den frühen 1960er-Jahren, erzeugten wir vornehmlich ausgewogene Lagenweine“, fährt Amadia fort. „Als sich in den frühen Neunzigern dann der reifere, schwere Weinstil in Kalifornien durchzusetzen begann, ließen wir uns nicht beeinflussen und gingen weiter unseren Weg, Weine zu erzeugen, in denen sich die Charakteristika der jeweiligen Weinberge widerspiegeln.“ Besondere Aufmerksamkeit widmet man bei Ridge der aus Dalmatien stammenden und in Kalifornien sehr beliebten Sorte Zinfandel sowie einer geradezu mythischen Cuvée namens „Monte Bello“ aus den Bordeaux-Sorten Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc und Petit Verdot. Seit seinem ersten Jahrgang in den 1960er-Jahren hat der Monte Bello nie mehr als 13 Prozent Alkohol erreicht, was für einen kalifornischen Wein als niedrig gelten darf. Auch er besticht durch delikate Ausgewogenheit und durch ein vereinnahmendes Spannungsfeld zwischen intensiven Fruchtnoten und ausgeprägtem Säurespiel. Inzwischen ist es Vormittag geworden, und der Nebel hat sich aus dem Tal des Russian River verzogen. Die Sonne beginnt zu wärmen, zur Mittagszeit wird sie die Weinberge aufheizen. Dann ist die morgendliche Kälte nur mehr Erinnerung – und die gelegentliche Brise vom nahen Pazifik willkommene Abkühlung.

Starke Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht gelten als ideale Bedingungen für große Weine. Doch der wesentliche Faktor bleibt der Zeitpunkt der Ernte. In weniger sonnenverwöhnten Weinbaugebieten wie Deutschland oder auch im Burgund, der ursprünglichen Heimat des Pinot Noir, kommt es immer wieder zu kühleren und damit schwierigeren Jahrgängen, in denen die Trauben nur mit viel Mühe das nötige Reifestadium erreichen. Dann muss der Winzer die heikle Entscheidung treffen, ob er mit der Ernte noch wartet und so das Risiko von Herbstregen und Kälteeinbruch eingeht. Hier aber, im sonnenreichen und weitgehend trockenen Kalifornien, ist die Situation eine völlig andere. Hier können die Trauben gefahrlos bis spät in den Herbst hinein hängen, weswegen noch bis vor wenigen Jahren zahlreiche Winzer auch im Sonoma County erst spät mit der Ernte begannen, um fruchtige und alkoholreiche Weine zu erzeugen. Das Resultat waren gehaltvolle Pinot Noirs, die mit den dieser delikaten Traube üblicherweise zugesprochenen Qualitäten wenig bis nichts mehr zu tun hatten. Ganz anders die eleganten Weine von Paul Hobbs, David Amadia und anderen Winzern aus dem Russian River Valley und Sonoma, wie den Weingütern Joseph Swan Vineyards, Inman Family Wines, Littorai oder Scribe. Allesamt erzeugen sie Pinots, die sich eher als unaufdringliche Speisenbegleiter anbieten denn als aufdringliche und manchmal etwas egomanisch wirkende Fruchtessenzen. Und wenn dabei auch nicht immer biologische oder biodynamische Anbaumethoden im Mittelpunkt stehen, dann setzen sie doch zumindest auf einen reduzierten Chemie-Einsatz, auf spontane Vergärung statt auf selektierte Hefen und auf eine zurückhaltende Zugabe von Schwefel zu Konservierungszwecken. Allein im prestigeträchtigen Napa Valley tut sich in diesem Bereich bisher eher wenig. Was vor allem daran liegt, dass konservativere Konsumenten von den Cabernets und Zinfandels aus Napa die gewohnte Wucht erwarten.

 

 

Wait!

In order to qualify for user related discounts, you must log in before proceeding with checkout. Click the button below to log in and receive these benefits, or close the window to continue.

Log In